Als ich Jan Lenarz das erste Mal kennenlernte, sprach er auf der re:publica über Achtsamkeit und wie man diese am besten in seinen Arbeits- und Lebensalltag integriert. Denn das ist gar nicht mal so einfach, und vor allem für jeden anders. Einerseits scheint es ja irgendwie “in” zu sein, Stress zu haben – ist es doch ein gesellschaftlich akzeptiertes Anzeichen dafür, dass man so richtig erfolgreich ist. Andererseits haben wir – wenn wir dann mit ebenjenem Stress konfrontiert sind – nie wirklich gelernt, gesund mit ihm umzugehen.
Als Gründer eines Labels für verantwortungsvolle Kampfsportausrüstung, Autor und Verleger, weiß Jan wovon er redet – er weiß, wie schnell alles mal zu viel werden kann. Viel wichtiger noch, er weiß, wann und vor allem wie man die Notbremse zieht, um nachhaltig gesund und fit zu bleiben. Anfang dieses Jahres hat Jan gemeinsam mit Milena Glimbowski per Crowdfunding den etwas anderen Terminplaner herausgebracht: Ein guter Plan. Das ist ein personalisierter Terminplaner, der dir dabei hilft, im täglichen Chaos dein eigenes Wohlbefinden nicht aus den Augen zu verlieren. Das Projekt lief so gut, dass es dieses Jahr in die zweite Runde geht – zu Recht.
Ich habe mit Jan über seinen Berufseinstieg, seinen Ziele für die Zukunft und gute Pläne gesprochen.
- Lieber Jan, wie erklärst du deinen Verwandten, was du beruflich machst?
Da sich der Fokus bei mir in den letzten Jahren oft verschoben hat, von Design, zu Branding, zu veganen Boxhandschuhe, zu Verleger, ist das bei uns eh ein Running-Gag. „Jan, was ist dein Job gerade und in welchem Land wohnst du?“ ist dann meist die erste Frage. Zugegeben, das mit dem Verlag stößt bisher auf das meiste Wohlwollen bei meinen Eltern. Bücher, das ist ja was solides und macht meiner Mutter weniger Sorgen, als eine Marke für nachhaltige Kampfsportausrüstung.
- Was hat dich auf deinem bisherigen Weg immer begleitet und geprägt? Wie geht es mit „Ein guter Plan“ und „Vehement“ weiter?
Das mit der Achtsamkeit ist eher neu in meinem Repertoire. Mein Hauptgrundsatz ist aber „mehr Glück als Verstand“, denn ich habe kein Gespür für Risiko und gehe Dinge sehr blind an. Ohne Expertise eine Sportmarke aufbauen oder einen Verlag gründen, da gehört viel Naivität dazu. Aber genau diese Ignoranz gegenüber den Gefahren der Selbstständigkeit hat mir das erst alles ermöglicht. Denn hätte ich es durchgerechnet und mir die Risiken zu Herzen genommen, wäre ich jetzt Grafiker in einer Agentur und wäre sicher ziemlich unglücklich.
Die Arbeit für meine Kampfsportmarke Vehement habe ich komplett an eine Freundin abgegeben, da kümmere ich mich nur noch einmal im Jahr um die Entwicklung neuer Produkte. Ich habe den Fokus dort auf Automatisierung gelegt. Vertrieb, Zahlprozesse, Steuern, das ist alles vernetzt und läuft über Dienstleister. So kann ich mich komplett auf Ein guter Plan stürzen. Beziehungsweise nun Ein guter Verlag. Denn ich habe mit Milena den ersten erfolgreichen Crowdfunding-Verlag gegründet. Unsere ersten beiden Bücher die nicht von uns geschrieben wurden, wurden bereits erfolgreich von der Crowd finanziert und das Modell wollen wir weiter ausbauen. Es ist unglaublich toll, das Autor*innen explizit ihre Bücher bei uns veröffentlichen wollen und Angebote großer Verlage ablehnen. Mit Ein guter Verlag können wir uns komplett auf jedes Buch konzentrieren und auch Nischenprodukte herausbringen. Wenn unsere Community Bock auf das Thema hat, finanzieren sie es auch, das gibt uns ungemein viel Spielraum für Neuerscheinungen.
- Hat dich deine Schul- undStudienzeit aufs Berufsleben vorbereitet? Welche Inhalte müsste man flächendeckend in Deutschland einführen, um Jugendliche fit für einen gesunden Berufseinstieg zu machen?
Einerseits habe ich wenig Unterstützung in der Schule für meine kreative Ader bekommen, andrerseits hat ich gerade das oft bestärkt, in diese Richtung zu gehen. Meine Kunstprojekte waren immer schräg und chaotisch und meine Lehrer*innen haben mir immer gesagt, dass ich so nie Designer werden kann, und aus Trotz wollte ich es dann umso mehr.
Mein Design-Studium war zuerst so gar nichts für mich. Ich wollte Photoshop und Indesign lernen, musste aber jahrelang nackte Menschen zeichnen. Ich habe während des Studium nicht einen Kurs für Kreativsoftware erhalten, aber mindestens 1.000 Akt-Zeichnungen angefertigt. Inzwischen bin ich dankbar für diese eher klassische Ausbildung, denn ich sehe immer wieder, dass ich ein völlig anderes Farb- und Formverständnis habe, als Absolvent*innen eher praktischer ausgerichteten Hochschulen. Photoshop lernt man spätestens in den ersten Jobs, ein Gespür für die richtige Komposition und der Wille, Emotionen durch Gestaltung zu erzeugen, das bringt dir später niemand bei. Auch dass Ein guter Plan so aussieht wie er aussieht, nämlich gegen jede Konvention aus grauem Leinen mit Goldprägung, lässt sich auf meine eher konservative Ausbildung zurück führen.
Zum Thema „harte Realität“: so einen harten Wechsel zum Studium gab es nie. Der Übergang war sehr fließend, da ich während des Studium schon Kundinnen hatte und mein Geld mit Gestaltung verdienen konnte. Dennoch war es nie sehr einfach, denn als Freiberuflerin hat man selten ein festes Einkommen und hat immer wieder Monate, in denen man wirklich sehen muss, wie man die Miete bezahlt. Aber pleite sein fühlt sich nicht so schlimm an, wenn man ein selbstbestimmtes Leben führt. Wenn ich nur die Projekte umsetze, auf die ich Lust habe, dann ist ein geringes Einkommen viel besser zu ertragen. Außerdem weiß man die guten Zeiten viel mehr zu schätzen, wenn man einen Monat im Jahr mal Panik wegen einem leeren Konto hat!
Für flächendeckende Inhalte für Jugendliche würde ich mir mehr und therapeutische Angebote wünschen. Ich kenne kaum jemanden, der sich während der Bachelor- oder Masterarbeit nicht völlig verheizt hätte. Ich kenne 22-Jährige mit Burnout und wöchentlichen Nervenzusammenbrüchen. Das ist nicht in Ordnung, wird von den zuständigen Dekan*innen aber als Zeichen eines effektiven Studiums und als Vorbereitung auf den Arbeitsalltag gesehen. Dort herrscht immer noch die Einstellung, dass Stress der nötige Partner von Erfolg ist. Hier Inhalte und Coaching anzubieten, die aufzeigen, dass das mehr schadet als hilft, wäre schonmal ein Anfang.
- Wie sieht dein Alltag aus? Wie bekommst du es hin, achtsam durch Berufs- und Privatleben zu gehen? Trennst du zwischen Privatem und Beruflichem (Stichwort Work-Life-Balance) oder verschwimmen die Grenzen eher (Stichwort Work-Life-Integration)
Ich bin kein Achtsamkeits-Guru und beschäftige mich mit den Themen nur so intensiv, weil ich selber oft zu viel zu tun haben und das mit der Achtsamkeit nicht immer hinbekomme. Aber ich habe gelernt, diese Situationen zu erkennen und zu vermeiden und wenn es doch stressig wird, wie jetzt kurz vorm Start unseres neuen Buches, nicht nach Perfektion zu streben. Wir drucken auch schonmal leere Seiten in unsere Bücher, weil wir etwas nicht geschafft haben. Oder schicken einen Newsletter mit Schreibfehlern raus. Das ist ok. Davon geht die Welt nicht unter. Aber diesen Mut zur absichtlicher Schludrigkeit muss man lernen. Mein Konzept nenne ich Work-Life-Life-Balance. Mein Job als Verleger ist schon die gelebte Verbindung aus Arbeit und persönlicher Erfüllung. Ich liebe mein Team und unsere Bücher. Und dennoch nehme ich mir ganz viel Auszeit von diesem Job, der sich nicht wie einer anfühlt. Denn ich glaube, auch sehr schöne Arbeit ist Arbeit. Auch ein Buch zu gestalten, von dem ich jede Zeile liebe, ist Arbeit am Bildschirm, die auf Dauer nicht gesund ist. Also nehme ich mir viel frei, auch gern in der Woche. Freizeit von schöner Arbeit fühlt sich nochmal doppelt gut an, denn ich brauche nicht erst ewig um runterzukommen und den Stress wegzuschieben, sondern geh schon entspannt in den Urlaub.
- Was motiviert dich, immer weiter zu machen und – wie im Fall von „Ein guter Plan“ – neue Produkte und Ideen zu entwickeln? Was ist dein „Warum“?
Ich kämpfe oft gegen meine Motivation, denn ich weiß, dass ich nicht noch mehr machen muss, um glücklich zu sein. Aber etwas in mir will Dinge erschaffen und Ideen umgesetzt sehen. Das kommt vielleicht aus meiner kreativen Grundausbildung. Hatte ich ein Bild im Kopf musste ich es zeichnen. Dieser Wille zur Verwirklichung ist immer noch da, aber heute sind es Produkte und Bücher, die raus wollen. Aber ich versuche mich davon zu befreien, denn es ist nicht nötig, mehr zu machen und mehr zu erreichen. Mein Warum ist also der Wunsch etwas zu erschaffen was noch nicht da ist. Das sitzt tief in mir drin. Klar freue ich mich sehr, wenn uns Nutzer*innen unserer Bücher schreiben, wie sehr wir ihnen geholfen haben. Aber wenn ich ehrlich bin, treibt mich das nicht hauptsächlich an. Das ist gut für’s Ego, aber der Wille zur Umsetzung der eigenen Ideen ist größer.
Um das etwas einzudämmen haben wir uns im Verlag dazu verpflichtet, nicht mehr als 10 Bücher im Jahr herauszugeben. Wachstum ist aus verschiedenen Gründen nicht nötig und ich möchte meine Energie inzwischen eher für persönliche Weiterentwicklung nutzen. Mehr Zeit für Sport, Musik und Freunde ist wichtiger als ein Verlag mit zig Büchern.
- Jan, stell dir deine ideale Welt in 5 Jahren vor: Alles ist so gelaufen, wie du es dir erträumt hast; deine Projekte hatten den Impact auf deine Mitmenschen, den du dir erhofft hast; kurzum: dein Leben läuft genauso, wie es sollte – Wo siehst du dich da, wie schlenderst du durchs Leben?
Wie gerade erwähnt, möchte ich keinen Wachstum meiner beruflichen Projekte. Wenn in 5 Jahren vieles so ist wie jetzt, hätte ich ein Ziel erreicht. Ich hoffe ich kann den Fokus also noch mehr auf meine privaten Projekte legen. Ich habe im Januar meine Prüfung zum Sanitäter und hoffe, dass ich meine Freizeit sinnvoller nutzen kann, indem ich direkt helfe. Alles was ich derzeit mache ist sehr digital, das Feedback kommt via Facebook-Kommentar, viele Freundschaften pflege ich via E-Mail. Idealerweise kann ich das sehr bald mehr auf die Realität übertragen. Mehr auf Konferenzen, Lesereisen unserer Autorinnen organisieren, Workshops mit unseren Nutzerinnen abhalten und so weiter. Ein High-Five einer Nutzerin von Ein guter Plan auf der diesjährigen re:publica ist mehr Wert als 5.000 Likes auf Facebook.
- Du begegnest deinem jüngeren Ich auf der Straße: Welchen wertvollen Ratschlag gibst du dir selbst mit auf den Weg?
Definiere dich nicht als einsamer Krieger, das ist eine Sackgasse, auch beruflich. Und überspring die Skinny-Jeans-Phase, das ist nix für dich.