Als ich vor gut einem Jahr meinen ersten “echten” Job antrat, gab es nicht nur herzliche Willkommensgrüße, sondern auch zweifelnde, zum Teil gehässige Stimmen. „Tzz, na ich bin ja mal gespannt, ob diese junge Frau das hinbekommt (Code für: die sieht aus wie 12 und sollte es mal lieber im Kinderplantschbecken versuchen).“ Ich bin kein Mensch, der bei sowas den Kopf in den Sand steckt und beleidigt von dannen zieht. Solche Sprüche spornen mich eher dazu an, das Gegenteil zu beweisen und es noch besser zu machen. Wie damals, als mein Professor mir eine berufliche Zukunft als Straßenfegerin in der Gosse prophezeite, und ich aus purem Trotz dann mit einem Einser-Schnitt abschloss. Pah, siehste mal, du Idiot.
Berufseinstieg: Zeit, sich zu beweisen
Ganz genauso ist es beim Berufseinstieg auch. Habe ich einmal die Chance bekommen, zu zeigen was ich drauf habe, setze ich natürlich alles daran, das Beste daraus zu machen (zumal demnächst auch die große Frage des unbefristeten Arbeitsvertrags ansteht, uiuiui). Ich scheue mich nicht vor Mehraufwand, Extraaufgaben und neuer Verantwortung. Vor allem letzteres sehe ich persönlich als die beste Form der Bestätigung für gute Arbeit an: Man vertraut mir, lässt mich machen, und gibt mir sogar Personal an die Hand; was könnte schöner und befriedigender sein?
So gut ich darin bin, mich von meinem Ehrgeiz zu guten Leistungen antreiben zu lassen, so schlecht bin ich aber auch darin, auf mich selbst Acht zu geben und auf meinen Körper zu hören, wenn er erschöpft, müde und ausgelaugt ist. Denn der oben beschriebene Wunsch, gute Arbeit zu machen, schlägt schneller in Druck um, als du “Stressresistenz” auch nur flüstern kannst. Dieser Druck kommt von innen, und zwar zusätzlich zu dem, der auch so bereits vom Arbeitgeber, von Kollegen und vom Kunden auf dich ausgeübt wird.
Ehrgeiz wird schnell zu Druck von allen Seiten
Warum tut man sich das an? Es ist doch „nur“ Arbeit. Das Leben ist schon kompliziert genug, warum weitet man seine ohnehin schon üppig vorhandenen Stressfaktoren, Ängste und Sorgen noch auf den Job aus? Na ganz einfach: weil man nicht anders kann. Mag man, was man tut, gibt es kein Mittelmaß, man möchte nicht nur gut, sondern besser sein. Wenn man für etwas brennt, gibt es kein „mit dem halben Arsch machen“, denn man will ja etwas erreichen. Und das ist auch gut so!
Was tut man also, wenn man seine Leistung nicht herunterfahren, aber sich selbst auch nicht kaputt machen möchte? Da gibt es meiner Meinung nach nur eine Lösung: Achtsamkeit und Auszeiten.
Achtsamkeit, der Schlüssel zum Erfolg zur Gesundheit
Bei meiner dreieinhalbwöchigen Reise mit dem Transsibirienexpress, bei der ich 10.000 km quer durch Russland gefahren bin, habe ich das erste mal seit langer Zeit wieder gemerkt, wie gut und wichtig Auszeiten sind. Pausen, in denen man nichts tut, und ich meine NICHTS. Nicht arbeiten, nicht bloggen, nicht hetzen, nicht sinnlos im Internet rumsurfen und sich dann fragen a) wo die ganze Zeit hin ist und b) warum man zudem auch noch so angespannt ist.
Ich kann euch sagen, nichts entschleundigt so sehr, wie mehrere Tage und Nächte am Stück alleine und ohne Internet durch die Tundra zu fahren. Plötzlich ist man alleine mit sich und seinen Gedanken. Die Mitreisenden werden zu Statisten, die Sorgen verschwimmen, der Stress verpufft. Unbemerkt und ganz von alleine wandern die Gedanken zu den großen Fragen hin: Was will ich eigentlich im Leben erreichen, was ist mir wichtig, wer ist mir wichtig? Was ist störender und überflüssiger Hintergrundlärm, was hingegen ist so wertvoll, dass ich gerne mal alles andere eine Weile lang dafür ausblende?
Zu wenig Zeit, um in sich hineinzuhören
Wenn man regelmäßig und durchgehend zwischen Arbeit, Dienstreisen, Pendlerei, Blog, Sport, Beziehung, Familie und Freunden hin- und herhetzt, in den siebeneinhalb Minuten Wartezeit am Bahnhof schnell was twittert, zu Hause schnell einen Artikelentwurf ins Notebook hämmert, ausgehungert schnell Nudeln kocht und in der einen Stunde, bevor man ausgepowert ins Bett fällt, schnell noch eine Serie guckt, kommt man ganz einfach nie zur Ruhe. Klingt logisch. Steckt man aber lange genug drin, merkt man das rasante Tempo nicht mehr. Es wird zur Normalität, zur neuen Comfortzone.
Vor meinem Urlaub war ich extrem fertig und erschöpft. Es war ja auch extrem viel zu tun, habe ich mir gesagt. Während das zwar stimmt, hatte ich aber zu einem gewissen Teil auch selbst Schuld, denn eine wichtige Tatsache hatte ich ignoriert: Hat man mal mehr Stress, braucht man auch mehr Pausen. Ich hingegen habe das Mehr an Stress auch in die Freizeit mitgenommen, habe auch im Privaten alles „schnell-schnell“ gemacht, statt mit dem nötigen Mehr an Ruhe. Das will ich ändern.
Wer mehr Stress hat, braucht auch mehr Pausen
Dafür muss man Prioritäten setzen. Unnötiges weglassen – dafür öfter mal entspannen, öfter mal nachdenken, öfter mal nichts tun. Meine TransSib-Reise und die etlichen Tage des Nichtstuns haben mir gezeigt, wie schön das sein kann; was mir gut tut und was mich hingegen unnötig stresst. Während die Reise körperlich relativ anstrengend war, wurde ich geistig mit jedem zurückgelegten Kilometer gelassener.
Mit den Couchsurfing-Gastbebern verquatscht und aus Doofheit den Zug verpasst? Ach egal, fahr ich halt mit dem nächsten. Aus Unwissenheit viel zu viel fürs Taxi bezahlt? Was soll’s, ist doch nur Geld. Mein Gepäck hat es nicht bis nach Frankfurt geschafft und ist beim Transit in Moskau stecken geblieben? Egal, Hauptsache ich bin gesund zu Hause angekommen; das Gepäck kommt schon irgendwann nach.
Diese für mich ungewohnte vollkommene Entspanntheit hat einen ganz einzigartigen Effekt: Die Bestandteile meines Alltags, die mich stressen, fallen mir jetzt gerade viel stärker auf. Weg damit.
Konkret und ohne jegliche Esoterik heißt das:
Das Sons of Anarchy-Staffelfinale mit Cliffhanger vor’m Schlafengehen? Eher nicht so gut für innere Ruhe, einen freien Kopf und entspannten Schlaf.
Spaziergang, Musik und ein nettes Gespräch mit dem Liebsten: schon besser.
Stundenlang in den Sozialen Medien rumgeistern und sich – ohne es zu wollen – mit allen möglichen Leuten vergleichen; dann versuchen einen Artikel zu schreiben, scheitern, und mit einem unfertigen und unzufriedenen Gefühl ins Bett gehen? Thema verfehlt, setzen, sechs.
Stattdessen joggen gehen oder Yoga machen, sich mit einem leckeren Tee entspannt an den Schreibtisch setzen, 1000 Wörter runterrocken und mit einem “I totally kicked ass today-Gefühl” ins Bett gehen: ja, wir kommen der Sache näher.
Nun, Vorsätze zu machen ist ja bekanntlich leichter als sie umzusetzen. Mal schauen, wie gut mir das gelingt. Denn wenn ich entspannt statt gestresst zur Arbeit komme, kann ich mich tausend mal besser auf meine Aufgaben konzentrieren – und wer weiß, vielleicht klappt es dann ja auch ganz gelassen mit dem Festvertrag.
Wie machst du es?
Vergisst du auch manchmal, dir regelmäßige Auszeiten zu gönnen; lässt du dich mitreißen vom schnellen Tempo des Alltags? Oder schaffst du es, den Stress öfter mal auszusperren und einfach abzuschalten? Wie machst du das? Tipps und Erfahrungen sind in den Kommentaren natürlich gern gesehen!