Dieser Artikel ist mein Beitrag zur Artikelreihe von Bianca Mayer zum Thema Heimat.
Ich sitze am Flughafen in Wien in einem Café, meine ausgelatschten Toms von den Füßen gestreift und die Beine auf dem bequemen Sofa an mich gezogen. Ich weiß nicht, was ich gerade mehr genieße: die Wärme des frischen Kaffee – der April hatte den Winter wieder mitgebracht – oder das phänomenal gute WIFI.
“Zwischen den Städten” ist für mich Alltag geworden
Ist auch egal, denn ich lese gerade einen Artikel über das “Leben Zwischen den Städten”. Darin beschreibt Autorin Bianca wie es sich anfühlt, fernab von der Heimat zu wohnen. Sie fragt sich, was mit dem ganz persönlichen “Zuhause”-Gefühl passiert, wenn man zwar de facto einen festen Wohnsitz hat, aber irgendwie trotzdem immer aus dem Rollkoffer lebt. Heutzutage ist man ja ohnehin ultra-flexibel und in-der-Welt-Zuhause, nicht wahr?
Ich selbst hatte den Koffer, der gerade neben mir steht, zuvor nur sporadisch ausgepackt. Das meiste hatte ich noch von der vorherigen Reise drin gelassen. Weil ich nach meiner Rückkehr aus Kolumbien (beruflich), einen kurzen Abstecher im Rheinland gemacht habe (Familie), bevor ich gleich weiter nach Armenien gereist bin (privat). Ganz ehrlich, meinen CO2-Fußabdruck möchte ich gerade wirklich lieber nicht wissen.
Heimat ist ein flexibles Konstrukt – eine kurze Geschichte meiner Familie
Das, was Bianca als das “Leben zwischen den Städten” beschreibt, ist für mich irgendwann ganz unbemerkt Alltag geworden. Es wundert mich nicht, denn streng genommen wurde es mir schon so in die Wiege gelegt. Meine Großeltern waren als deutsche Aussiedler in Russland geboren. Während des zweiten Weltkriegs waren sie von der Wolga nach Kasachstan deportiert worden, und dort wuchsen meine Eltern auf. Als ich neun Monate alt war, entschieden sie sich ihre Koffer zu packen und mit mir ans andere Ende der Welt zu ziehen. “Zurück” nach Deutschland also, in ein Land, das sie zwar aus Erzählungen kannten, aber selbst noch nie gesehen hatten.
Heimat, das ist ein ziemlich flexibles Konstrukt, wenn es darauf ankommt. Die Heimat meiner Familie ist nun jedenfalls seit über 27 Jahren im Rheinland. Aber ist es auch meine?
Frisch mit 19 – die Tinte auf dem Abiturzeugnis war noch nicht mal richtig getrocknet – hatte ich genug von Zuhause. Ich zog nach England, um hier die nächsten anderthalb Jahre Deutsch zu unterrichten. Heimweh hatte ich nie so richtig, das hatte gegenüber dem Fernweh noch immer den Kürzeren gezogen. Lediglich meine damalige Fernbeziehung hatte eine Konstante des Hin- und Herpendelns etabliert, auch später im Studium und bei diversen weiteren Auslandsaufenthalten, wie Moskau oder Kapstadt. Schon damals hatte ich alle Essentials, die man so im Alltag braucht, stets in zwei Ausführungen, um die Sache mit dem Koffer packen einfacher zu machen.
Kulturschock Heimat
Das Gefühl irgendwo verwurzelt zu sein, das hatte ich unterwegs irgendwo verloren. 2014 dann, sechs Jahre nach meinem Weggang, zog ich tatsächlich in die kleine Stadt am Rhein zurück. Und um ehrlich zu sein, traf mich der “Kulturschock Heimat” hart; wieder hier anzukommen, erwies sich als Kraftakt. Die Freunde, die man damals noch so hatte, waren entweder selbst weggezogen, oder mittlerweile so fremd, dass man fast komplett von vorne anfangen musste. Ich habe mich noch nie so fremd gefühlt, wie in meinem vermeintlichen Zuhause
Bevor ich wieder wegzog, blieb ich insgesamt zwei Jahre. Und ungefähr genauso lange hatte es auch gedauert, bis ich mich eingelebt und dieses neue Heimatgefühl wieder entwickelt hatte. Aber dieses mal war es gekommen um zu bleiben: Ich hatte mich letztlich tatsächlich dort angekommen gefühlt, auch wenn ich das niemals gedacht hätte. Und auch wenn ich dort nicht wohne, so fühle ich mich an diesem Ort nun trotzdem beheimatet.
“Zuhause” vs. “Heimat”
Klar, es ist heute ein anderes Heimatgefühl als noch vor meinem Weggang mit 19. Auch wenn ich noch nicht weiß, ob ich je wieder dort wohnen werde. Auch wenn mein Personalausweis sagt “Geburtstort: Kasachstan”, und “Wohnort: Belgien”.
Heimat, das ist und bleibt für mich, wo meine Eltern sind, wo ich aufgewachsen, und meine ersten Erinnerungen und Erfahrungen gesammelt habe. Wo ich jedes Jahr zu Weihnachten hinfahre. Wo ich einfach immer, immer willkommen bin.
Jetzt wohne ich wieder in Brüssel; wie lange ich bleiben werde, weiß ich nicht. Und auch wenn ich es nicht gerade als Heimat bezeichnen würde, ist es dennoch mein neues Zuhause – da wo meine Wohnung ist und mein Bett steht. In die Heimat am Rhein fahre ich trotzdem gerne und regelmäßig. Ob ich dort wohne oder nicht – mit all dem hin und her ist das einfach unwiderruflich zu meiner Heimat geworden.
Naja, neben meinem Rollkoffer halt.