Geschichten aus dem Bewerberalltag – Das Bewerbungsgespräch Man hört es ja immer wieder: mit BWL (anders als in den brotlosen Geisteswissenschaften) findet man nach dem Studium viel leichter einen Job. Man muss nicht 63 Bewerbungen schreiben, bevor man überhaupt erst mal irgendwohin eingeladen wird. Man muss nicht fünf unbezahlte Praktika machen, um nach jedem einzelnen nicht übernommen zu werden. Man muss sich vielleicht auch nicht so oft fragen, ob man vielleicht das Falsche studiert hat, weil man langsam schon am Bewerbungsprozess verzweifelt. Erzählt man sich zumindest so.
Die Einladung zum Bewerbungsgespräch Meine Freundin Lea zum Beispiel: Master of Science in BWL, Schwerpunkt Marketing. Ist ja kein Wunder, dass sie zwei Wochen nach der ersten Bewerbung auch gleich eingeladen wird. Aber schwarze Schafe gibt es in jeder Disziplin, und in jeder Form und Weise. Das musste sie nach ihrem letzten Bewerbungsgespräch in der Managementabteilung eines namhaften Supermarkt-Discounters feststellen.
Hochmotiviert kommt sie in der Zentrale an. Professionell gekleidet, gut vorbereitet und souverän-selbstbewusst tritt sie vor den Personalverantwortlichen, der heute für etwa 40 Minuten ihr Gesprächspartner sein wird. Er macht einen netten Eindruck; die erste Hälfte besteht aus netten Pläuschchen. Ach, Frau Müller, Sie waren neulich in Afrika? Erzählen Sie doch mal!
Alles rosig, sie wähnt sich in Sicherheit. “Nun zum Fachlichen, Frau Müller. Was denken Sie denn, werden hauptsächlich Ihre Aufgaben als Filialleitung sein?” Lea überlegt kurz, und schildert die Verantwortungsbereiche, die sie sich als Filialleitung so vorstellt. “Aha, verstehe. Aber was machen Sie dann genau?” Wieder schildert Lea die Aufgaben, diesmal noch detaillierter. Als sie noch hinzufügt: “den Mitarbeitern Ziele setzen und diese nachhalten”, springt er gleich darauf an.
Problemlösungskompetenz: Und was machen Sie dann? “Nun, Frau Müller, das ist ja schon mal ein guter Ansatz. Aber stellen Sie sich mal vor, sie setzen jetzt eben diese Ziele. Dann kommen Sie in ein oder zwei Wochen wieder dorthin und sehen: es hat nicht funktioniert; kein einziges Ziel wurde erreicht! Was machen Sie dann?”
“Also in dem Fall würde ich mit den Mitarbeitern sprechen und gemeinsam nach möglichen Ursachen suchen.”
“Ja ja okay. Sie erarbeiten also neue Ziele und neue Maßnahmen. Gut. Dann kommen Sie nächste Woche also wieder hin und sehen: es hat nicht funktioniert. Was machen Sie dann?”
“Ich würde schauen, ob ich vielleicht die falschen Maßnahmen für diese Filiale bzw. für die Mitarbeiter gewählt habe und alternative Möglichkeiten erarbeiten.”
“Aha, okay. Sie machen all das, gehen nächste Woche wieder hin und sehen: es hat nicht funktioniert. Was machen Sie dann?”
“Ähh… ich würde versuchen noch tiefer zu bohren? Um herauszufinden, wo das Problem liegt.”
“Meinetwegen. Dann kommen Sie also nächste Woche wieder hin und sehen: es hat nicht funktioniert. Was machen Sie dann?
So ging es noch ungefähr zwei-drei Mal weiter, bis Lea vollkommen ratlos war. Beim letzten “Was machen Sie dann?” sagte sie irgendwann resigniert:
“Naja, dann müsste ich mir, so leid mir das tut, wohl die Frage stellen, ob das Personal vielleicht nicht das Richtige ist.”
Bloß nicht weich werden! “AHA! Jetzt kommen wir der Sache schon näher. Und dann? Dann feuern Sie sie nämlich! Und das braucht Ihnen gar nicht leid tun; diese Einstellung müssen Sie ablegen. Viele Manager verstehen nicht, dass genau das ein wichtiger Bestandteil ihrer Aufgaben ist: Leute kündigen. Da gilt es, nicht herumzudrucksen, sondern sich durchzusetzen! Ja wo kämen wir denn hin, wenn jeder Führungskraft das alles leid täte? Wenn Sie Mitarbeiter haben, die nicht 150% geben – dann müssen die eben gehen! Und glauben Sie mir, da ist es egal, wenn diese Mitarbeiterin drei Kinder großzieht und kürzlich von ihrem Mann verlassen wurde. Ist uns doch egal! Frau Müller, da dürfen Sie nicht weich werden! Nur wer stark ist kommt voran.”
Sonst noch Fragen? “Und wissen Sie, Frau Müller, wenn wir, in der Ebene über Ihnen, sehen: Die Frau Müller schafft es nicht, ihr Personal im Griff zu halten und sich von unproduktiven Mitarbeitern zu trennen, ja dann müssen WIR uns ja auch die Frage stellen, ob SIE nicht vielleicht die Falsche für Ihren Job sind. So einfach ist das. Haben Sie noch weitere Fragen?”
Doch Lea hatte keine Fragen mehr. Sie führte das Bewerbungsgespräch noch höflich zu Ende, verabschiedete sich und fuhr benommen nach Hause. Den Job hat sie nicht bekommen; möglicherweise war sie nicht sadistisch durchsetzungsfähig genug. Angenommen hätte sie ihn sowieso nicht. Sie verbuchte das Bewerbungsgespräch nüchtern als Erfahrung und war einfach nur froh, dass es vorbei war.
Aber letzendlich verlief ihre Jobsuche ohnehin wie die Suche nach einer guten Jeans: Da rennt man entnervt durch sechs verschiedene Geschäfte, probiert herum – und am Ende? Ja, am Ende kauft man dann die Hose aus dem allerersten Laden. Denn Leas erste Bewerbung nach dem Studium, bei der sie sich übrigens an diesen Tipps hier orientiert hat, resultierte letztlich in dem Job, den sie jetzt hat.
Glückwunsch, Lea. Hoffentlich wird von dir hier nicht erwartet, dein Herz und deine Empathie am Eingang abzugeben.
Hast du ähnliche Erfahrungen? Welche Anekdoten hast du aus deinem Bewerberleben? Du könntest wahrscheinlich auch wilde Dinger erzählen, oder? Schreib deine Erfahrungen unten in die Kommentare – oder aber an redaktion@chapteronemag.com.