Julia weiß wie es sich anfühlt, den ganzen Tag am Schreibtisch unglücklich und frustriert zu sein. Lange hat sie versucht, sich das, was ihr im Job fehlte, in der Freizeit nachzuholen. Bis sie genau das überhaupt nicht mehr hatte: Freizeit. Nach einem Burnout hatte sie den Mut, einen Schlussstrich zu ziehen und sich beruflich neu zu orientieren. Ihre Erfahrungen hat sie für Chapter One Mag aufgeschrieben.
Die Bilanz nach einem Jahr?
Ich schmeiße alles hin und kehre meinem Job den Rücken zu.
Nach elf harten Semestern mit viel Hochschulpolitik, Abgaben, Klausuren und Nebenjobs war es unfassbar genial, nach nur zehn ernsthaften Bewerbungen gleich drei Jobangebote zu bekommen.
Vor etwas über einem Jahr fing ich voller Freude und Stolz in einem kleinen Architektur-Büro an. Endlich das echte Leben genießen, endlich Gehalt bekommen, endlich erwachsen sein!
Jetzt sollte ich endlich Geld für Reisen und Feierabende haben. So war der Plan. Als Architektur-Student hat man eines nämlich nicht: Geld. Und Feierabend. Man arbeitet eigentlich rund um die Uhr – und ist dabei auch noch immer pleite. Ich malte mir aus, wie ich an den Wochenenden mit meinen Freunden Kurztrips machen und im Urlaub fremde Welten entdecken würde.
Der Berufsstart: die rosarote Brille
Anfangs war es auch echt spannend im Büro. Ich habe viel von dem gelernt, was uns in der Uni immer vorenthalten wurde.
Das Gefühl, endlich seine Kompetenzen anwenden zu können, ist unfassbar schön. Kunden dabei zu helfen, das eigene perfekte kleine Haus zu bekommen, tut gut. Menschen, die, wie ich, so etwas wie ein Helfer-Syndrom haben, können in der Architektur wirklich aufgehen, denn man hilft ja ständig. Andere mögen den Beruf des Architekten negativ als „Dienstleister“ betiteln, was er definitiv auch ist, aber man hat es sich ausgesucht!
Wenige Architekten sind Architekten, um ihre eigenen Spinnereien in Beton gießen zu lassen. Vielmehr ist das Handwerk des Architekten so vielseitig, dass man erst zuhören muss, dann etwas entwirft und im Endeffekt jemandem einen großen Wunsch erfüllt.
Wie aus Euphorie Ernüchterung wurde.
Soviel zur anfänglichen Euphorie. Die Ernüchterung kam schon nach ein paar Wochen, als mein ewig wissenshungriger Geist merkte, dass kein Input mehr kam. Klar, man lernt jeden Tag was Neues, aber in der Uni konnte ich jeden Tag mehrere Stunden damit verbringen, mich aktiv weiter zu bilden. Das fiel im Büro leider weg. Kein Chef findet es gut, wenn ein Arbeitnehmer vier Stunden am Tag sämtliche Foren durchsucht, Berichte liest, neue Technologien betrachtet und immer auf dem neuesten Stand der Technik sein will.
Dennoch wird es vom Arbeitnehmer verlangt, dass er eben dies immer tut – nur eben nicht während der Arbeitszeit. Zum Lernen sind die wenigen Schulungstage da. Neun Stunden harte Fakten in den Kopf prügeln und am nächsten Morgen direkt anwenden. Diese Art von Frontalunterricht hat mir aber schon in der Uni nicht gelegen.
Außerdem hatte ich nie das Gefühl, dass das Gelernte im Arbeitsalltag wirklich Anwendung fand.
Darüber reden ist schön. Aber Innovationen auch anwenden? Fehlanzeige. Natürlich dauert es in einem Betrieb immer eine Weile, bis sich Neuerungen durchsetzen. Allerdings sollte der generelle Wille auch erkennbar sein, sonst bringen Themen wie Nachhaltigkeit und Innovation recht wenig.
Wissenshunger abends stillen
Wenn man auf der Arbeit nicht genug erfährt, ohne neuen Input aber wahnsinnig wird… was tut man dann? Abends nach der Arbeit Bücher verschlingen und zu Veranstaltungen fahren.
Aber als Architekt arbeitet man ja ohnehin gerne mal länger. Das wird so erwartet. Die meisten Arbeitsverträgen enthalten sogar die Klausel, dass zehn Arbeitsstunden pro Monat zusätzlich erwartet, aber nicht vergolten werden. Meist sind es aber eher zehn pro Woche, die zusätzlich anfallen. Da ich dazu auch noch täglich drei Stunden in der Bahn saß, organisierte ich mir sofort einen eReader. So verschlang ich nach der Arbeit pro Woche gut und gern 1-2 Sachbücher zu verschiedenen Themen.
Ab und an beschäftigte ich mich aber auch nur mit meinem Handy und chattete mit Freunden aus der fernen Heimat. Schnell merkten diese Freunde, was ich selbst erst viel später merkte. Ich nahm mir keine Auszeit mehr. Während viele andere Pendler in der Bahn die Kopfhörer aufsetzten und die Welt ausschalteten, las ich. Ich musste lesen. Es war wie eine Sucht.
Ich durfte es die 8-10 Stunden auf Arbeit nicht tun, also tat ich es in der Bahn.
Immer öfter wurde mir gesagt, ich müsse mal runter kommen. Meinen Kopf abschalten und meinen Feierabend wirklich mal genießen. Aber es ging nicht. Ich brauchte Input, wie andere Zigaretten. So handhabte ich es auch mit den Mittagspausen. Wenn andere rauchen oder essen gingen, leuchtete mir mein Kindle entgegen. Mich wieder davon zu lösen war eine wahre Herausforderung. Jeden Tag.
Abends aber abschalten, oder?
Zu Hause angekommen, war mein Kopf nicht etwa befriedigt vom vielen Wissen, das er auf der Fahrt aufnehmen durfte. Ganz im Gegenteil. Durch das Lesen haben sich mir meist so viele Fragen aufgeworfen, die ich unbedingt im Internet recherchieren musste. Manchmal ertappte ich mich dabei, dass ich komplett angezogen mit Schuhen und Jacke am Rechner saß und schon Google mit meinen Fragen fütterte.
Immer seltener konnte ich mich dazu durchringen direkt nach der Arbeit zum Sport zu flitzen.
Es war, als finge mein Kopf erst nach der Arbeit an, auf Hochtouren zu laufen.
Abschalten war einfach nicht drin.
Gewöhnungseffekt? Ebenfalls Fehlanzeige. Ich redete mir fleißig ein, dass ich ja bald wieder ganz normal sein und auch Feierabend haben würde, so wie andere auch. Dann würde ich mein Gehirn vorne an der Wohnungstür ablegen und die Muße für Sport und Freunde haben. Naja, irgendwie hat das nicht geklappt. Gar nicht. Bis mir schließlich meine Gesundheit einen Strich durch die Rechnung machte.
Diagnose: Burnout
Ganz genau weiß ich nicht, woran es lag und liegt, dass ich als Angestellte nicht glücklich werde. Aber meine Bilanz nach einem Jahr Festanstellung ist klar: Leider ohne mich. Obwohl ich mich in den meisten Praktika wirklich wohl gefühlt habe, und die auch teilweise länger als sechs Monate waren. Ich habe mich da noch freier gefühlt als im goldenen Käfig des festen Lohns.
Ich brauche Freiheit
Ich brauche die Freiheit, mich zu bilden und zu informieren wann und wo ich will. Zeitliche und örtliche Eingrenzung von Wissensaufnahme ist für mich ein Graus. Der Versuch, mich mit Ehrenämtern “abzulenken”, hat nur noch mehr dazu geführt, dass ich immer weniger Zeit für mich hatte. Das Gefühl, täglich in ein Gefängnis zu gehen, hat mich schlussendlich nicht einmal mehr schlafen lassen.
Ich durfte dort nicht lernen, hatte aber dennoch so viel Pflichtbewusstsein und den Wunsch, Architektin zu sein, dass ich versuchte, alles gleichzeitig zu machen. Acht Stunden lang Menschen zu schönen Häusern verhelfen und dann noch mal acht Stunden lang lernen. Dann noch etwas Sport und das Ehrenamt bei den Ingenieuren ohne Grenzen. Irgendwie war das alles dann doch nichts für mich.
Lernen macht mich glücklich, Verbote machen mich unglücklich. Ich habe mit Lernen versucht, Glück zu erzeugen. Und mich damit selbst so gestresst, dass mein Körper nach einem Jahr klar gesagt hat: Genug ist genug!
Und du?
Wie gehst du damit um, wenn du nicht mehr weiter weißt? Warst du schon mal in einer ähnlichen Situation?