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Fressneid, Urlaubsneid, Jobneid

Aug 22, 2015 · 5 mins read
Fressneid, Urlaubsneid, Jobneid
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Warum der ewige Vergleich in den sozialen Medien nicht nur sinnlos ist, sondern auch ziemlich müde macht.

Jeder hätte gerne alles. Gleichzeitig. Und am liebsten bitte das, was er eh nicht haben kann.

Ich bin sicher, einige viele von euch kennen dieses Gefühl. Egal wie toll alles läuft – es könnte bestimmt noch ein bisschen besser gehen. Schneller, höher, weiter. Es ist dieser persönliche Ehrgeiz, der manchmal droht, zuerst in Optimierungszwang, und dann irgendwann in eine ewige Unzufriedenheit überzuschlagen.

Was ich meine:

1) Ich habe Pasta bestellt. Oh, deine Pizza sieht ja toll aus. Meine Nudeln sind leider ziemlich wabbelig, so gar nicht al dente. Was? Deine Pizza schmeckt total geil? Na super, hätt’ ich nur…

2) Wooow, du gehst bald nach Bolivien? Für 12 Monate?! Coooool, ich würd ja auch so gern. Aber du warst doch gerade erst in Indien? Jaja schon… aber das ist schon so lange her. Und du fährst doch demnächst nach Sibirien? Klar… aber das ist ja eh nur für einen knappen Monat…

3) Ich halte den Fluter von der Bundeszentrale für Politische Bildung in der Hand. Dort hatte ich mich nämlich auch beworben, aber wegen einer besseren Jobmöglichkeit wieder abgesagt. Jetzt aber denke mir: Was wäre, wenn ich das damals angenommen hätte? Was würde ich dann jetzt täglich machen? Vielleicht würde ich über sau-die-relevanten Sachen schreiben, wie die Flüchtlingslage oder Pressefreiheit statt über Emissionseinsparungen und Rohstoffeffizienz. Ich würde bestimmt mit jüngeren Menschen zusammenarbeiten und modernere Formate produzieren. Ach je, hätt’ ich nur!

Bad Guy Social Media

Und wenn es schon mal ein beschissener wabbelige-Nudeln Tag ist, dann lässt der nächste Knacks erst recht nicht auf sich warten.

LinkedIn sagt: “Hey, Christina! Schau doch mal bei Anneliese So-und-so vorbei und gratuliere ihr zum ihrem megageilen neuen Job!” Huch, was ist denn da passiert? Klick.

Sie macht jetzt WAAAS? Von genau dem Job habe ich schon immer geträumt! Ja ehrlich, schon immer! Indianerehrenwort. Oh Mann, wär ich nur damals in Brüssel geblieben…

War früher wirklich immer alles besser?

Dazu muss man wissen: als ich mein Praktikum in Brüssel im Presseteam der EU-Kommission gemacht habe, wurde ich danach für einige Zeit übernommen. Wie lange ich bleiben würde, war nicht klar, in welcher Position ebenfalls nicht. Was jedoch feststand war, dass ich immer erst am Freitag den Arbeitsvertrag für die kommende Woche unterschreiben würde… Zeitarbeit vom feinsten. Zu der Zeit bezog sich mein Jobneid natürlich auf alle, die den Luxus eines festen oder zumindest mal 2- oder 3-Jahresvertrags hatten.

Aber was soll’s, die Arbeit hat riesigen Spaß gemacht! Viel Journalistenkontakt, jeden Tag die großen Themen, jede Woche hochrangiger Besuch – von Merkel über Putin bis Ban Ki Moon. Am Anfang zumindest. Irgendwann wurden meine Aufgaben immer langweiliger, immer anspruchsloser. Ich wollte mich weiterentwickeln und irgendwie vorankommen – aber davon konnte nicht die Rede sein.

Heimatgefühle

Ich spielte damals ohnehin mit dem Gedanken, wieder nach Deutschland zu gehen. Zurück “nach Hause” – oder was auch immer von meinem Zuhause-Gefühl übrig geblieben war. Schluss mit halben Sachen: ich wollte nur noch eine Heimat, und nur eine Anschrift haben! Und es klappte sogar, ich ergatterte eine grandiose Stelle, gegen die die Zeitarbeit in Brüssel total abschmierte.

Meine Entscheidung, den “besseren” Job zu nehmen, habe ich eigentlich nie bereut. Nicht, als ich mal wieder eine Brüsseler Stellenanzeige für ein unbezahltes Praktikum sah, in der es hieß: “Doktoranden werden bevorzugt” (haha, nix bezahlen, aber Doktoranden fordern). Nicht, als meine Freunde in Brüssel mir erzählten, dass sie sich weiterhin an Sekretärinnenjobs klammern, weil sie die Hoffnung nicht aufgeben, es könnte etwas besserers aufploppen. Und auch nicht, als mein Bekannter mir erzählte, dass er jetzt, nach 7 Monaten Arbeitslosigkeit zurück in seine Heimat geht, weil er sich ohne geregeltes Einkommen die horrenden Mieten nicht mehr leisten kann.

Wie gut es einem geht, wenn man sich in seiner Entscheidung bestätigt fühlt. Im Vergleich.

Und da liegt nämlich der springende Punkt: im Vergleich. Denn so ein Vergleich hat seine Schattenseiten.

Es kommt nämlich immer ein anderer daher, gegen den man abstinkt. Und zwar immer dann, wenn es einem ohnehin schon scheiße geht. Dann klatscht einem dieses bescheuerte LinkedIn, [wahlweise auch Xing, Twitter oder Facebook] 15 andere Vergleiche vor den Latz, wie halt eben “Gratuliere Anneliese So-und-so zum neuen Job! Denn die rettet jetzt die Welt, macht in High-Heels Karriere und sieht dabei noch FA-BEL-HAFT aus!” Nicht draufklicken aus Selbstschutz? Pah, keine Option.

Das hätte ich sein können

Ja ja, ganz bestimmt. Wenn ich nur damals geblieben wäre. Kann doch im Nachhinein alles gar nicht so schlimm gewesen sein. Hätte ich einfach mal länger durchgehalten.

Dann säße ich jetzt bestimmt auch da und würde so fabelhaft-aussehend die Welt retten.

Hätte, hätte, Fahrradkette

Ich beruhige mich damit, dass ich mich zurückerinnere: damals wollte ich den Glanz und Glamour, die vielen Journalisten und Kameras nicht mehr. Ich wollte diese vermeintlich “großen Themen” nicht mehr immer nur oberflächlich anreißen und vor dem nächsten Atemzug schon von der nächsten kurzlebigen Story überrollt werden. Kaum hatte man ein Thema aufgegriffen, kam schnon das nächste daher; keine Zeit sich ernsthaft mit den Dingen zu beschäftigen.

Ich wollte Substanz in der Arbeit statt Schlagzeilen-Blabla. Wollte ernsthafte Beziehungen mit den Menschen um mich herum statt Small-Talk-Gedöns. Ich wollte vor allem ein Leben neben dem Job. Jetzt habe ich das. Jetzt habe ich auch die Themen, mit denen ich mich ernsthaft und in aller Detailtiefe befassen kann. Nur kommt man damit eben nicht mehr in die Tagesschau.

Grüner ist das Gras ist ja bekanntlich immer auf der anderen Seite. Was man nicht hat, will man umso mehr haben.

Meine Freundin sagt: das Gras ist dort grüner, wo du es gießt.

Recht hat sie. Vielleicht sollten wir alle weniger vergleichen, und dafür mehr vor der eigenen Tür kehren gießen.

 

Wie stehst du zum Was Wäre Wenn?

Wie gehst du mit solchen Vergleichen um? Augen zu? Digital Detox? Besinnung auf das Wesentliche? Oder bist du viel vernünftiger und stellst dich solchen Gedanken gar nicht? Der eine oder andere Tipp wird wie immer dankbar entgegengenommen 😉

 

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